Aliquotverhalten - ein ungebräuchliches Wort. Da die moderne Gitarre keine Aliquotsaiten, wie zB. Viola d'amore oder das Baryton besitzt, aber insbesondere leere Saiten beim Spielen diese Resonanzeigenschaften aufweisen, habe ich mich nach reiflicher Überlegung für 'Aliquotverhalten' entschieden.
Dieser Effekt dürfte bei allen Zupf- und Streichinstrumenten mehr oder weniger vorhanden sein,- im Gegensatz zu den meisten anderen Orchesterinstrumenten, dem Klavier und der menschlichen Stimme.

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(Profis beim Thema Resonanzen überspringen bitte den folgenden Abschnitt bis zum nächsten Bindestrich)

Jeder Ton ist im Grunde genommen ein Klang, nämlich die Summe seiner Partial- bzw. Teiltöne, die durch den ausgelösten Grundton gleichzeitig erzeugten, auch sogenannten Obertöne. Diese Partial-, Teil- oder auch Oberton genannten Töne kennen Gitarristen als Flageoletttöne. Fachlich ausgedrückt wird eine Saite*, die in Schwingung versetzt wird, den Grundton plus mehrere sinusförmige Teiltöne (zB. Oktave, Quinte, Quarte, Terzen) unterschiedlicher Amplitude erzeugt. (Auf deutsch: beim Zupfen einer Saite werden viele zusätzliche Töne hervorgezaubert!)
Der Grundton als tiefster Ton bestimmt dabei die Tonhöhe, die erzeugten Obertöne bestimmen den Klang. Die Anzahl und Intensität der erzeugten Obertöne bestimmen übrigens den Klang eines Instrumentes oder der menschlichen Stimme. Deswegen können wir den Klang (genannt Klangfarbe) einer Geige von dem einer Oboe oder einer Triangel mühelos unterscheiden. Die Form des Resonanzkörpers bestimmt dabei im wesentlichen die Klangfarbe.

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Aliquotsaiten als zusätzliche Saiten, die nur Resonanzen (ohne Grundton) erzeugen sollen, besitzt die Gitarre als solche nicht. Die insbesondere leeren Saiten zeigen aber speziell bei der Gitarre (und der Harfe) m.M. nach ein ausgeprägtes Resonanzverhalten, welches aber in Abgrenzung des normalen Verhaltens der Tonresonanzen von mir als Aliquotverhalten benannt wurde.

Dieses Aliquotverhalten kann jeder selbst erzeugen**: einfach die leere h-Saite kräftig anschlagen/zupfen, sofort abdämpfen und hören, welche ausgeprägten Resonanzen die übrigen (ungedämpften) Saiten hervorbringen,- wenn bei Wiederholung die übrigen Saiten gedämpft werden, klingt es wesentlich anders. Der Ton wird "präziser", exakter, prägnanter in der Ansprache, wie beispielsweise beim Klavier***. Der Ton 'verschwimmt' nicht.

Das Thema Aliquotverhalten der Gitarre wird von mir hauptsächlich deswegen für wichtig erachtet, weil einzelne Töne qualitativ sehr unterschiedliche Resonanzen erzeugen. Einige Töne bringen sehr ausgeprägte (h), andere Töne (cis oder dis) sehr viel schwächere bis fast gar keine Resonanzen hervor! Das Ergebnis beim Spielen eines ein- oder zweistimmigen Musikstückes wird dabei von präziseren (wenig Resonanz) und unpräziseren (viel Resonanz) Tönen beherrscht. (Ich übertreibe jetzt mal absichtlich: ähnliche Wirkung wäre beim Klavierspielen zu erzielen, wenn das Pedal ständig auf und niedergetreten wird).

Meiner Meinung nach hat das erhebliche Auswirkungen auf den Gesamtklang eines Stückes (z.B. bei zweistimmig kontrapunktisch komponierter Barockmusik).

Bei vielen Musikstücken für die Gitarre wird das Aliquotverhalten nicht nur in Kauf genommen, sondern absichtlich vollumfänglich (aus) genutzt.

Ich betone nochmals: Nicht das Aliquotverhalten ! der Gitarre ist das 'Problem', sondern das unterschiedliche ! Resonanzverhalten einzelner Töne bei bestimmter Musik.


Matthias




*Saiten, Membranen, Luftsäulen bei Holz- und Blechblasinstrumenten, alles, was in Schwingung geraten kann, also auch die Stimmbänder, erzeugen Obertöne

**eine gut gestimmte Gitarre setze ich hier voraus ;)

***das ist u.a. ein Grund, warum ich beim präzisen Ton im Thread "Bach für Einsteiger" als Beispiel Gould wählte: wegen des Klaviertones UND der äußerst präziseren Tonbehandlung von Gould

N. Yepes hat mit seiner 10-saitigen Gitarre ja auf diese erweiterten Klangelemente gesetzt, soweit ich das in Erinnerung habe, nutze er dabei nur 8 Saiten zum spielen und die obersten 2 Basssaiten nur zum klanglichen Mitschwingen.

Das Mitschwingen der Saiten ist doch häufig ein Problem, sodass man sich mit dem Abdämpfen beschäftigen muss. Ich rede jetzt nicht von Schlussakkorden, wo das gewünscht sein kann. Aber im normalen Spiel dämpft man doch relativ viel. Je nach Instrument kann das richtig Arbeit machen, schaut mal nach Göran Söllscher mit seiner 11-saitigen Altogitarre. Der dämpft richtig viel.

Yepes wollte meines Wissens eben dieses Mitschwingen über alle Töne der Tonleiter. Die Anregung der Obertöne erfolgt ja am Anfang in der Reihenfolge Oktave-Quinte-Quarte-Terz, weswegen es ja die „schwachen“ Töne gibt. Dieses Spektrum erweitert sich, wenn mehr leere Saiten in unterschiedlicher Stimmung vorhanden sind.

Zitat von ollo im Beitrag #3

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Das Mitschwingen der Saiten ist doch häufig ein Problem, sodass man sich mit dem Abdämpfen beschäftigen muss.

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Zitat von Matthias im Beitrag #5

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Wenn der leere Ton h gespielt wird, dämpfst du u.U. die leere E-Saite, weil sie Resonanzen hervorbringt?

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Interessant ist der Hinweis auf Narciso Yepes 10-saitige von ollo, Charlie und Harald.

Die Stimmung lässt tatsächlich darauf schließen, dass Töne, die eine schwache Resonanz bei den übrigen Saiten hervorrufen, mittels zusätzlicher Bordun- bzw. Aliquotsaiten unterstützt werden.

Ich zähle folgende Töne dazu: cis, dis, fis, gis und ais.

Zitat von ollo im Beitrag #6

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Zitat von Matthias im Beitrag #5

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Wenn der leere Ton h gespielt wird, dämpfst du u.U. die leere E-Saite, weil sie Resonanzen hervorbringt?

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Ja sicher. Immer dann, wenn sich musikalisch ungewollte Überlagerungen ergeben.

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Das müsste man jetzt am Beispiel analysieren. Aber dämpfen gehört dazu, finde ich. Wie halten es die anderen hier?

Bei Deiner Frage, Ollo, muß sicher unterschieden werden, auf welchem Niveau gespielt wird, ob allein oder mit anderen zusammen, ob es um Prüfungen oder Tonaufnahmen geht., usw …

Mich persönlich - als Hobbyspieler - bewegen zwei Aspekte bei diesem Thema.

Zum einen, das Dämpfen einer bereits angeschlagenen Saite geschieht ja oft abrupt z.B. durch Anlegen des Daumens auf die noch schwingende Saite. Der Ton ist plötzlich schlagartig weg, anders als beim Dämpfen am Steg zum Ende eines Stückes, wo der Nachhall verkürzt wird.

Zweitens ist ja gerade der Nachhall (… oh, this guitar has a very long sustain 🙂 ) ein Charakteristikum unseres Instrumentes und wird ja auch gerne noch durch Carbonsaiten gepusht.

Beides bringt mich derzeit dazu, nicht zu dämpfen, auch wenn dadurch kurz mal etwas Uneindeutigkeit oder etwas Dissonanz entsteht. Da kann man ebenso drüber weg spielen wie über einen Wolfston.

P.S.: Meinem Eindruck nach nimmt das Aliquotverhalten mit zunehmendem Alter der Saiten zu und durch die Abnutzungen der Saiten entstehen dabei mehr Dissonanzen.

Dämpfen einer angeschlagenen oder mitschwingenden Saite: wenn eine Pause in den Noten steht, muss in der Regel gedämpft werden, Schlussakkorde ausgenommen. Wo man wie dämpft hängt vom musikalischen Kontext ab, nicht vom Niveau der Aufführung. Anfänger natürlich ausgenommen. Ich habe sowas im Unterricht besprochen, mein Lehrer hat darauf Wert gelegt.

Sustain: schön und gut, ein Beleg für ein resonantes Instrument. Niemand will mit einem Pappkarton spielen. Aber je mehr Sustain die Gitarre hat, desto sorgfältiger muss man dämpfen.

Zitat von Charlie im Beitrag #11

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P.S.: Meinem Eindruck nach nimmt das Aliquotverhalten mit zunehmendem Alter der Saiten zu und durch die Abnutzungen der Saiten entstehen dabei mehr Dissonanzen.

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Vielleicht wird durch die Dissonanzen der Effekt für das Gehör einfach dominanter? Darüberhinaus dürfte das Einspielen neuer Gitarren (-decken) Einfluss auf das Aliquotverhalten des Instruments haben, mithin dieses verstärken ?

Gruss michael

Zitat von ollo im Beitrag #12

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Dämpfen einer angeschlagenen oder mitschwingenden Saite: wenn eine Pause in den Noten steht, muss in der Regel gedämpft werden, ...

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