Grundsätzlich finde ich es sehr fruchtbar, sich mit dem Selbstverständnis von Künstler/innen und Komponisten/Komponistinnen zu beschäftigen und ggf. auch sinnvoll, dahingehend die eigene Spielweise zu überdenken. Allerdings würde ich daraus auch keinen Interpretationsauftrag ableiten wollen. Solange jemand nicht behauptet, DIE gültige Interpretation von Satie vorzustellen, darf und soll er/sie traurig, stoisch, lustvoll, schnell oder langsam daher spielen. Die Welt der Musik wäre um vieles ärmer, hätten Interpreten nicht ihre individuelle, persönliche Aneignung eines Stückes "gewagt". Hat Glenn Gould bei seiner Version der Goldberg-Variationen von Bach sich "nur" als Mittler von Bach verstanden öder als (Ver-) Mittler seiner individuellen Aneignung von Bach, die er dann später auch wieder veränderte? (Mit welcher Fassung wäre Bach jetzt zufrieden gewesen - vielleicht mit keiner oder beiden)
P.S. Auch das Trauern ist eine sehr individuelle Sache. Ich habe 2011 nach dem Tod meines Vaters mit dem klassischen Gitarrenspiel angefangen. Vielleicht kann die Gitarre in Zeiten der Trauer auch im doppelten Sinn ein Resonanzboden sein. Finde es heraus!
Ich erinnere mich an früheren Kunstunterricht über Pop-Art (Warhol, Lichtenberg, …), wo es manchmal darum ging, gerade mal NICHT danach zu fragen, was der Künstler uns sagen will. Manchmal ist ein Bild eben auch einfach nur ein Bild um seiner Selbst willen.
So wie ich es verstanden habe, hatten die Sechs ebenso wie Satie ihr Amüsement dort, wo Interpreten übertrieben viel Emotionen in die Musik legten.
Es hat auch etwas sehr Befreiendes und Erleichterndes, sich einmal gerade NICHT um die Bedeutung kümmern zu müssen, sondern die Musik einmal um ihrer selbst willen zu spielen.
Zitat von Kerstin72 im Beitrag #18Im Moment beobachte ich das Gegenteil. Üben und Sport. Ist ja aber auch erst Tag 3 ...
Ja, das ist natürlich die Phase des Einstudierens.....ganz normal, da muss man halt dran bleiben, bis man die ersten Teilstücke dann auch geniessen kann.
Ich bin auch kein Freund davon, sich sklavisch an irgend etwas in der Interpretation zu halten. Natürlich sollte man verstehen, was der Komponist denn prinzipiell mit dem Stück ausdrücken wollte (Trauer, Sehnsucht, Glück, etc.). Bei den strengen Klassikern sowie im Zusammenspiel sind der eigenen Interpretation Grenzen gesetzt bzw. man muss sich absprechen. Bei allen anderen finde ich: es ist die Interpretation am besten, die am schönsten klingt .
Morgen, ich finde es liegt auf der Hand, das jeder jedes Stück spielen kann, wie er/sie lustig (oder traurig) ist -- wer sollte ihn/sie daran hindern ? Genauso lasse ich mir nicht vorschreiben, wie ich ein dargebotenes Stück zu finden habe - um BAP zu zitieren "von mir uss Kitsch". Wenn jetzt also jemand die Gnossiene völlig "überinterpretiert" und damit einen Sack voll Fans hat, dann mag sich Herr Satie im Grabe rumdrehen, die Welt ist dann aber auch kein Stück schlechter geworden. Wenn jemand anderes sich Mühe gibt, exakt den Vorgaben des Komponisten zu folgen und damit auch seine Zuhörer findet, dann sind die ja auch alle glücklich. Und ob die Zuhörer dann deswegen glücklich sind, weil Ihnen die Musik in dieser Weise gut gefällt oder (nur) der Ansatz des "dem-Komponierenden-folgens" das kann dann auch allen anderen egal sein....nicht umsonst heißt es, über Geschmack kann man nicht streiten....und wenn es keine Fans davon gibt, wäre das ggf. immer noch kein Grund es anders zu sein, wenn mensch als Interpret den Ansatz für sich nunmal gut findet (und nicht davon leben muss). Nichtsdestotrotz halte ich es für sinnvoll/hilfreich, zunächst zu wissen, was ein Stückeschreibender im Sinne hatte beziehungsweise was hinter einem Stück steht (seit ich z.B. mal gelesen haben, was Barcaroles eigentlich sind, erschließen sich die viel leichter) und es kann sicher nicht schaden, es zunächst so zu probieren, wie es vom Komponierenden gedacht war (falls das klar zu erkennen ist) und dabei offen dafür zu sein, dass es einem selbst vielleicht gefällt auch wenn es im ersten Moment der eigentypischen Spielweise eventuell entgegenläuft. Von daher finde ich Jörgs Ausführung sehr spannend und werde, wenn ich die Gnossienne dann mal angehe, seine Worte im Sinn haben. Wenn es mir dann aber mit mehr Zuckerguss besser gefällt, werde ich mir nicht selbst im Wege stehen, es so zu spielen, wie es mir gefällt....
Hi, in der Antike wurden oft die Überbringer schlechter Nachrichten geköpft, obwohl sie ja nur eine Botschaft überbrachten. Selbstverständlich kann jeder Musik interpretieren, wie er will, interessant ist doch, wie man Musik vor dem Hintergrund von Faktenwissen interpretiert, mit jeder vorgelegten Interprretation stellt man sich ja auch der Kritik. Ich möchte aber nicht wegen meines Beitrages gekreuzigt werden.
Zitat von Jörg Wagner im Beitrag #21Ich möchte aber nicht wegen meines Beitrages gekreuzigt werden.
Wirst du nicht, lieber Jörg ! Ich finde es gerade interessant, viele Meinungen zu hören. Am Ende soll sich aber jeder selbst seine Meinung bilden und es sollte Akzeptanz dafür geben, wenn jemand es anders entscheidet als man selbst (ich weiß, dass du das tust ).
Dein Beitrag, lieber Jörg, ist sehr wichtig und eröffnet ein sehr bedeutendes Gedankenfeld.
Hmm, Lagrima, ein wirklich tolles Stück, dass einen übermütigen Kindergeburtstag in Noten beschreibt? Die Cello-Suite, die den nahenden Winter mit seiner Tristesse erklingen lässt?
Je näher wir der Gefühlswelt des Komponisten bei einen Stück kommen, desto reicher werden wir doch auch im Spiel des Stückes, weil wir emphatischer oder freier spielen können.
Zitat von Charlie im Beitrag #23Hmm, Lagrima, ein wirklich tolles Stück, dass einen übermütigen Kindergeburtstag in Noten beschreibt?
Vielleicht die nachfolgende Situation, in der die Eltern dann alles aufräumen müssen? Der wehmütige Gedanke an die eigene Kindheit? Spaß beiseite. Ich wollte meinen Beitrag auch nicht als Kritik an Jörg verstanden wissen. Ich fand den Hinweis nicht nur musikhistorisch interessant, sondern auch für das Einüben des (eines) Stückes wertvoll! (Bitte nicht unterlassen!!!) Alles andere dazu ist ja gesagt.
Hi, ich finde, Satie bietet einen perfekten Anknüpfungspunkt zu vielen interpretatorischen - aber auch Selbserfahrungs- Aspekten des Instrumentalspieles, dazu fällt mir z.B. ein "Entkoppelung von Interpretation und Technik" in der Phase des Einstudierens , und hier bietet sich bei den Satiestücken eine wundervolle Möglichkeit der Selbserfahrung während der "Bedienung" unseres Instrumentes : es kann sehr schön sein, ein Stück ohne interpretatorischen Druck darzustellen, wer kennt nicht den "harten Bauch" oder den "verspannten Kehlkopf" oder andere Mißempfindungen, wenn man versucht, aus allen Poren "Musik zu schwizen", es kann herrlich befreiend sein, mal nur den genauen Text eines Stückes darzustellen, während es ja heutzutage durchaus üblich ist, erst mal auf YT zu gucken, wie "Das" denn die Kollegen spielen, und schon ist man nicht mehr neutral. Während meiner 35 Jahre Hochschultätigkeit gab es immer mal Studenten mit einer sehr hohen musikalischen Selbsteinschätzung, die gestalteten das einfache Spielen einer Tonleiter als musikalisch hochdramatisches Ereignis und saßen dann am Ende wie ein lebendiger Knoten auf ihrem Stühlchen, das machte keinen Sinn. Hier ist man dann als Lehrer gefordert, ebenso wie beim Bereitstellen stilistischer und historischer Fakten Übles zu verhindern, sonst klingt alles von Bach bis ... wie "Fritzchen", und insofern kann man dann schon objektive Kriterien zur Beurteilung einer Interpretationsleistung heranziehen, also mit anderen Worten : persönliche Authentizität kann nicht immer als Hauptkriterium für richtige Interpretation herhalten, Stichwort "Gefühlte Wirklichkeit" versus "Tatsachen". Hier eröffnet sich evtl. ein weites Diskussionsfeld, wenn es gelingt, unpolemisch vorzugehen. Ich bin gespannt Jörg
Vielen Dank Jörg für diese sehr interessanten Gesichtspunkte. Wir sind allerdings mittlerweile schon recht weit weg vom ursprünglichen Ausgangspunkt des Threads, der Gnossienne. Deshalb, wenn du magst Jörg kannst du gerne mit deinem letzten Beitrag einen neuen Thread aufmachen (oder ich verschiebe ihn für dich wenn du mir Bescheid gibst).
Habe ich gemacht , deshalb bitte alle weiteren Beiträge zum Thema "Interpretation und Technik" dort im separaten Thread, alle weiteren Beiträge zur Gnossienne Nr.1 gerne weiter hier.
ich habe noch mal eine sachliche Frage zum Stück: Wenn ich das richtig gelesen habe, ist "Gnossienne Nr.1" mit anderen Stücken zusammen von Satie für das Klavier komponiert worden. Bei wem können wir uns für die Gitarrenfassung bedanken und wann ist sie entstanden? Vielen Dank im Voraus.
Zitat von Peter im Beitrag #28Habe ich gemacht , deshalb bitte alle weiteren Beiträge zum Thema "Interpretation und Technik" dort im separaten Thread, alle weiteren Beiträge zur Gnossienne Nr.1 gerne weiter hier.
...dann mach ich mal mit der Gnossienne weiter...das Stück lebt ja von den Vorschlagnoten -- wenn man die als Gitarrist im Notentext sieht, liest man sie automatisch als Aufschläge, Abzüge und Glissandi. Die gibt es aber auf dem Klavier nicht, für die die Gnossienne ja ursprünglich geschrieben ist. Dann müsste man ja eigentlich (sofern man "Orginaltreue" anstrebt) die Vorschlagnoten (bzw. die darauf folgende Hauptnote) explizit anschlagen, oder ?
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20.05.2023 21:46
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