Zitat von Richard im Beitrag #30Bin ich der Einzige, der die Vorliebe für die Originaldrucke bzw. für die Tecla-Urtextausgabe skeptisch sieht, obwohl ich letztere selber besitze? Wenn man ein historisches Gitarrenmodell mit 60 oder 62 cm Mensur spielt wie Sor selber, kann ich das verstehen. Doch komme ich mit solchen Gitarren nicht zurecht und mag auch deren Klang nicht besonders. Daher spiele ich auf meinen 65 cm-Mensuren konsequent die Sor-Etuden in den „unhistorischen“ Editionen von Segovia, von Yepes und Carlevaro. Diese enthalten Fingersätze, die klar für unsere modernen Gitarren konzipiert sind. Wahrscheinlich holt mich deswegen irgendwann die Interpretationspolizei ab
Nein, warum sollte man das skeptisch sehen? Die Abänderung von Fingersätzen nach den eigenen Bedürfnissen ist doch legitim. Ebenso die eigene Interpretation eines Stückes.
Für mich, der noch ganz am Anfang seiner klassischen Gitarrenlaufbahn steht, war es halt sehr interessant, Sor - dessen Stücke bzw. Etüden ich sehr mag - ganz dicht am Original zu sehen und zu erleben. Wenn da 'mal ein Fingersatz nicht passt, wird der halt geändert. Aber das sind Kleinigkeiten gegen das, was manche Verleger bzw. Komponisten (oder wie nennt man Teuchert, Scheidt & Co?) mit den Werken von Sor so veranstalten.
Da wird aus einer Andante einfach ein Allegretto gemacht, in einem sich an Schüler gerichteten progressiv aufbauenden Opus werden schon in den ersten Stücken Lagenwechsel in die 5. und 7. Lage eingebaut, die Sor so nicht vorgesehen hat, oder bestimmte Stellen werden verändert, weil sie so besser klingen oder weil es der üblichen Spielweise entspricht. Das finde ich gerade bei Sors Werken zu schulischen Zwecken befremdlich.
Hier ein winziges Beispiel:
Das erste Bild zeigt das Original, der Schüler bleibt in den unteren Lagen. Das zweite Bild zeigt die Version von Teuchert, die einen kurzen Sprung in den 5. Bund bedingt. Das ist kein Problem und das Durchklingen der Unterstimme ist tatsächlich eleganter als die Pause bei Sor durch den erneuten Anschlag der G-Saite; ich spiele es auch so, weil ich es schöner finde. Aber das war eben nicht von Sor gewollt, weil er vermutlich einem Schüler den Lagensprung ersparen wollte.
Deshalb sehe ich andere Interpretationen nicht skeptisch, ich möchte aber gerne das Original sehen, um die Veränderungen selbst beurteilen zu können.
Solche Bearbeitungen wie die von Teuchert sind m.E. legitim. Eingriffe wie die von Segovia oder Scheit sind es nicht! Fingersätze und Lagenwechsel stehen eh zur Disposition. Das macht ja gerade den Charme der Gitarre aus. Eine Einladung für Klangtüftler.
Zitat von Manfred im Beitrag #32>< Fingersätze und Lagenwechsel stehen eh zur Disposition. ><
Da bin ich absolut bei Dir, wenn es um erfahrene Gitarristen und deren Interpretation eines Stückes geht! Bei meiner Frage zum Fingersatz eines Stücks aus einer Gitarrenschule war man sich hier aber relativ einig, dass man aus methodischen Gründen vorgegebene Fingersätze grundsätzlich beachten sollte, weil da oft ein bestimmter Sinn und Zweck hintersteckt. Sofern dieser hinsichtlich moderner Gitarren nicht angepasst werden muss.
Ich denke man sollte hier deshalb einfach zwischen dem schulischen Spielen / Lernen von Sors Stücken und dem freien Präsentieren eigener Interpretationen / Veränderungen unterscheiden, so wie es Segovia wohl gerne getan hat. In der Tecla Version wird bisweilen auf Segovia hingewiesen, hier z.B. zu Studie 6 von Sor:
"Bar 54: Segovia's edition adds a sharp to the B, but there is no sharp in the original edition. Bar 107: Segovia's edition gives D sharp andB sharp, but the original edition has no sharps at this point (it would have been required to show them if they were intended, regardless of the accidentals in the previous bar). lt is probable that this D and B were intended to be natural."
Das sind schon kräftigere Eingriffe, aber es entwickelt sich eben alles immer weiter im Leben. Und das ist oft gut so!
Die Änderungen, die in den 50er und 60er Jahren vorgenommen wurden, entsprechen häufig dem damaligen Zeitgeist. Das angeführte Beispiel ist sehr treffend, denn es ist mMn auf die fette (Nylon-)g-Saite der großen Konzertgitarren des 20. Jahrhunderts zurückzuführen. Die klingt häufig dumpf, weswegen Teuchert auf die gegriffene D-Saite ausweicht. Die Darmsaite war halt dünner, und die kleinen Instrumente des 19. Jhs. klangen heller.
Außerdem galt es als gitarristisch, keine Leersaiten zu verwenden. Auch das sieht man heute anders. Gerade im späten 18. und 19. Jahrhundert finden sich zahlreiche Beispiele, die Leersaiten auf den ersten Blick logisch erscheinen lassen. Und warum sollte man sich das alles unnötig erschweren?
Sowas findet sich ganz häufig, und ich halte es für legitim, das nach Belieben zu ändern. Ausnahmen sind mMn Etüden, bei denen es originale Fingersätze gibt. Ansonsten …
Zitat von ollo im Beitrag #34Die Änderungen, die in den 50er und 60er Jahren vorgenommen wurden, entsprechen häufig dem damaligen Zeitgeist. Das angeführte Beispiel ist sehr treffend, denn es ist mMn auf die fette (Nylon-)g-Saite der großen Konzertgitarren des 20. Jahrhunderts zurückzuführen. Die klingt häufig dumpf, weswegen Teuchert auf die gegriffene D-Saite ausweicht. Die Darmsaite war halt dünner, und die kleinen Instrumente des 19. Jhs. klangen heller.
Außerdem galt es als gitarristisch, keine Leersaiten zu verwenden. Auch das sieht man heute anders. Gerade im späten 18. und 19. Jahrhundert finden sich zahlreiche Beispiele, die Leersaiten auf den ersten Blick logisch erscheinen lassen. Und warum sollte man sich das alles unnötig erschweren?
Sowas findet sich ganz häufig, und ich halte es für legitim, das nach Belieben zu ändern. Ausnahmen sind mMn Etüden, bei denen es originale Fingersätze gibt. Ansonsten …
Darm hat eine geringere Dichte als Nylon und daher muss die Saite noch dicker sein. Aus Erfahrung kann ich sagen das klingt schon sehr dumpf
Liebe Forumskollegen! Ich habe schon vor ein paar Tagen gesagt, dass das Thema der Saiten in der Luft sehr heikel ist; in dieser Studie können wir ein Beispiel haben.
Hallo Notorio, Meiner Meinung nach ist es wichtig, die Fingersätze bestimmter Werke oder Studien nicht zu kompliziert zu machen, vor allem, wenn es sich um Stücke aus dem ersten Kurs handelt. Das Stück, das du uns zeigst und das ich, wie du richtig sagst, auch spiele, ist aus dem ersten Kurs. Dort findet man in der Regel viele Luftnoten, so dass es dem Anfänger leichter fällt und er mehr motiviert ist. Ich danke Ihnen für den Takt Nr. 28, den Sie uns von Fernando Sor aus Op. 35 zeigen.
Zeitgeist oder Art der Saiten hin- oder her: Bezüglich Etüden wurde ja schon mehrfach ausgeführt, dass dafür die originalen Fingersätze meistens essentiell sind, weil der Übungszweck im Vordergrund steht. Genau so sehe ich das bei den sich progressiv aufbauenden Stücken von Sor zu Schulungszwecken, die sich an Anfänger bzw. Level 1-Spieler richten. Wenn man sich damit als Schüler befasst, ist der originale Fingersatz zielführender als die Tempisteigerungen und unerwarteten Lagensprünge von Teuchert und Scheidt oder gar die erheblichen Veränderungen von Segovia.
Da aber selbst Sors einfach Stücke oft recht pfiffig komponiert sind und sich auch zum Vortragen durch erfahrene Spieler bestens eignen, sind die genannten Veränderungen oder Verbesserungen durch Musikverleger oder andere Komponisten absolut sinnvoll und für dieser Zwecke auch zielführend.
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01.03.2024 09:19 (zuletzt bearbeitet: 01.03.2024 10:27)
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