[quote="Hansric"|Aber: es ist doch nicht zwingend, dass ich den ursprünglichen Kontext … "zwingend" respektieren muss und die Komposition nicht auch auf meine Weise interpretieren darf? Es gibt ja nicht nur die Intention des Komponisten, sondern auch die Freiheit des Interpreten, und ich muss beides gegeneinander abwägen.[/quote]
Ein ganz klares „ja“, wir müssen auch weder die Originalnoten noch Tonlängen noch Rhytmen beachten und können frei mit der Notenvorlage umgehen und können darin auch sehr kreativ sein und auch eine Passung für uns erreichen.
Dennoch kommen wir dem angestrebten Ausdruck des Komponisten näher, wenn wir mehr über Begleitumstände und Emotionen wissen. Quasi wie ein noch fehlendes Gewürz bei einem guten Gericht. Und dann schmeckt es plötzlich noch viel viel besser 🙂
Zitat von Hugo im Beitrag #13 … kann die gleiche Musik immer neu werden, je nach Lebensphase? Existiert überhaupt eine definitive musikalische Reife oder besteht das Geheimnis darin, danach zu suchen? Gruß, Ugo
Meiner Ansicht nach für beide Deiner Fragen: ganz deutlich: ja!
Die eigene Lebenserfahrung mit allen Höhen und Tiefen kommt dazu und die Suche ist reizvoll und inhaltsreich.
Bleibt noch die Frage, ob wir alles dann auch adäquat umsetzen können …
Ich halte die Gefühle des Komponisten ehrlich gesagt für zweitrangig. Wie lange hat Beethoven an einer Symphonie gearbeitet? Und in den Wochen und Monaten hat er sich sicherlich auch mal hungrig gefühlt, oder müde, oder fröhlich, oder was weiß ich. Ich weiß auch nicht, ob ich mich von einem Stück Musik unbedingt in eine bestimmte Stimmung versetzen lassen will. Wer wird schon gern vom Musikhören hungrig?
Gerade habe ich ein Stück von Eliseo gehört, das er seinem Bruder gewidmet hat. Kann ein Einzelkind das überhaupt adäquat hören oder gar spielen?
Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber mit Musik verbinde ich andere Dinge als emotionale Manipulation.
Was bleibt denn, wenn wir Musik ohne Emotionen spielen? Nagut, für der Physiker bleiben Frequenzen und Wellen, für den Tontechniker und Mathematiker bleibt auch noch was …
Aber letztlich kann man - auch nach meiner Erinnerung bis in die Jahre der Kindheit zurück - eine Identität von Musik = Emotionen setzen.
Zitat von Charlie im Beitrag #19Was bleibt denn, wenn wir Musik ohne Emotionen spielen? Nagut, für der Physiker bleiben Frequenzen und Wellen, für den Tontechniker und Mathematiker bleibt auch noch was …
Aber letztlich kann man - auch nach meiner Erinnerung bis in die Jahre der Kindheit zurück - eine Identität von Musik = Emotionen setzen.
Gehen wir es wissenschaftlich an.
ZitatDie Emotion oder der Affekt ist als Gefühlsregung vom Fühlen oder dem Gefühl zu unterscheiden. Der Begriff des Gefühls ist der allgemeinere Begriff, der die unterschiedlichsten psychischen Erfahrungen mit einbezieht, wie z. B. Eifersucht, Stolz, Unsicherheit, Begeisterung und Melancholie. Im Unterschied dazu hat sich im Sprachgebrauch die Bezeichnung eines „großen Gefühls“ als Emotion durchgesetzt und benennt damit eine deutlich wahrnehmbare physische Veränderung von Muskulatur, Herzschlag, Atmung usw., die mit Messungen neurophysiologischer Parameter nachweisbar sind. (Wikipedia: Emotion, https://de.wikipedia.org/wiki/Emotion)
Wenn wir uns auf die Ebene des Fühlens begeben:
ZitatGefühl ist ein psychologischer Oberbegriff für unterschiedlichste psychische Erfahrungen und Reaktionen wie etwa Angst, Ärger, Komik sowie Mitleid, Eifersucht, Furcht, Freude und Liebe, die sich (potenziell) beschreiben und damit auch versprachlichen lassen. Obwohl es vielseitige neurophysiologische Ansätze der Messung von Gefühlen gibt, sind diese nicht als einheitlich und überindividuell gültig anerkannt. Dies wiederum legt die Deutung von Gefühlen als individuelle oder subjektive Bewusstseinsqualitäten oder Ichzustände nahe.[1] Gefühle sind das Produkt der Verarbeitung von Reizen, die ihren Ursprung in unseren Sinnesorganen nehmen. Sie vermitteln damit ein Bild von der uns umgebenden Welt, aber auch von Vorgängen unseres eigenen Körpers. Gefühle sind nicht nur Ausdruck äußerer Tatsachen, sondern auch unserer eigenen Beurteilung. (Wikipedia: Fühlen, https://de.wikipedia.org/wiki/Fühlen_(Psychologie))
Kann mir wer ein Stück nennen, das dem Gefühl von Stolz oder Ärger entspricht? (Nicht im Sinne von Stolz, dass ich es geschafft habe, ein Stück zu meistern, oder Ärger, weil es mir nicht gelingt; das sind aber keine Gefühle, die die Musik selbst auslöst.)
- Und ich bitte nicht beleidigt zu sein. Ich meine das hier durchaus ernst. Der Zusammenhang von Musik und Emotion/Gefühl ist natürlich gegeben. Aber das eine ist nicht mit dem anderen identisch. Musik löst unbestritten Gefühle aus, ist aber selbst keines. Und um bei einer anderen Person ein Gefühl auszulösen (vulgo: ein Stück "gefühlvoll" zu spielen), muss ich das Gefühl nicht selbst empfinden.
Übrigens habe ich im Video keinen Hinweis darauf gefunden, dass sich das musikalische Empfinden mit den Jahren ändert. Er sagt doch nur, dass ältere Spieler mehr auf Klang achten, jüngere mehr auf Lautstärke. Kann ich nachvollziehen. Aber vielleicht höre ich einfach nur schlechter.
Ob dieser nun plötzlich auch lebensfroh wird oder nur entsprechend spielt vermag ich natürlich nicht zu beurteilen, aber: ändert sich etwas beim Zuhören in uns, wenn wir der veränderten Spielweise folgen?
Zitat von Docsteve im Beitrag #20 Kann mir wer ein Stück nennen, das dem Gefühl von Stolz oder Ärger entspricht? (Nicht im Sinne von Stolz, dass ich es geschafft habe, ein Stück zu meistern, oder Ärger, weil es mir nicht gelingt; das sind aber keine Gefühle, die die Musik selbst auslöst.) Viele Grüße Stephan
Die ganzen Militärmärsche sind voll von Glanz u. Glorie und Stolz. Der Prinz Eugenmarsch ist mein pers. Liebling diesbezügl(ohne Ironie) Beim Ärger wird man wohl den Liedtext miteinschließen müssen; der Elvis singt: You aint nothing but a hound dog.
Zitat von Docsteve im Beitrag #20 Kann mir wer ein Stück nennen, das dem Gefühl von Stolz oder Ärger entspricht? (Nicht im Sinne von Stolz, dass ich es geschafft habe, ein Stück zu meistern, oder Ärger, weil es mir nicht gelingt; das sind aber keine Gefühle, die die Musik selbst auslöst.) Viele Grüße Stephan
Die ganzen Militärmärsche sind voll von Glanz u. Glorie und Stolz. Der Prinz Eugenmarsch ist mein pers. Liebling diesbezügl(ohne Ironie) Beim Ärger wird man wohl den Liedtext miteinschließen müssen; der Elvis singt: You aint nothing but a hound dog.
Zitat von Docsteve im Beitrag #20Kann mir wer ein Stück nennen, das dem Gefühl von Stolz oder Ärger entspricht?
Die Wut über den verlorenen Groschen, von Beethoven.
Man muss, glaube ich, unterscheiden. Selbstverständlich weckt Musik Emotionen, sonst würden wir sie weder hören noch machen wollen. Aber der Komponist drückt SEINE Gefühle aus, nur selten will er wohl bestimmte Gefühle beim Zuhörer auslösen. Wie sollte das auch gehen, Empfindungen sind schließlich sehr subjektiv. Wenn der Zuhörer dann ähnliche Empfindungen hat wie der Komponist – gut. Hat er andere – auch gut. "Gefühlsmanipulation durch Musik" klingt in meinen Ohren etwas zu hart und ist sicher so nicht gemeint.
In der Renaissance galt manchmal "ich kann trauriger komponieren als du", Dowlands Lachrimae mögen hier als Beispiel dienen. Musikalische Gefühle wurden im Barock dann eher verpackt, der darauf folgende "empfindsame Stil" legte wiederum großen Wert darauf. Ab der Romantik ist die Vertonung von Gefühlen quasi Programm. Im 20. Jahrhundert (serielle und zwölftönige Konpositionen) wurde es hingegen wieder sehr theoretisch. Bei echter Volksmusik und im Schlager geht es praktisch immer um Gefühle wie Liebe, Leid und Lebensfreude (oder um Politik).
Zitat von Charlie im Beitrag #23… ich meine schon, dass man gefühlvoller spielt, wenn man es schafft, sich in dieses Gefühl einzufinden.
Und was machst du dann daraus?
Nehmen wir Un Dia... findest du dich in das Gefühl eines todkranken Menschen ein? In das des Komponisten, der sich (vielleicht) in einen todkranken Menschen einfühlt? Werden sich deine Zuhörer danach todkrank fühlen?
Es ist OK, keiner von uns muss Recht behalten, aber vllt können wir lernen, uns genau auszudrücken.
Zitat von Docsteve im Beitrag #26Nehmen wir Un Dia... findest du dich in das Gefühl eines todkranken Menschen ein? In das des Komponisten, der sich (vielleicht) in einen todkranken Menschen einfühlt? Werden sich deine Zuhörer danach todkrank fühlen?
Interessantes Beispiel. Ich kannte die Hintergründe des Stückes nicht und habe mir einfach einen grauen Novembertag in Südamerika vorgestellt. Sowas ist doch völlig legitim, niemand kann zu allem die Hintergründe erahnen, wenn sie denn relevant sind oder es sie überhaupt gibt. Schon gar nicht von lange verstorbenen Komponisten. Die eigene Phantasie darf doch eine Rolle spielen.
Natürlich gibt es bei manchen Stücken eine klare Aussage, ein Tombeau z.B. ist ein musikalisches Totengedenken. Da hat auch ein Silvius Leopold Weiß Emotionen gezeigt, wie ich finde.
Zitat von Docsteve im Beitrag #20Kann mir wer ein Stück nennen, das dem Gefühl von Stolz oder Ärger entspricht?
Die Wut über den verlorenen Groschen, von Beethoven.
...
Gutes Beispiel, aber meinst du wirklich, Beethoven war beim Komponieren wütend? Oder du wirst es beim Zuhören?
Viele Grüße Stephan
Nö, eher muss ich grinsen. Und Beethoven hat das vermutlich hinterher auch. Das ist also eher ein "verkomponiertes" Gefühl. Analog zu einem Bild, das einen bestimmten Moment – auch emotional – festhält.
Hi, Gefühl und Musizieren ist so eine Sache. Ich halte es für wichtig, zunächst den Notentext und die kompositorischen Mittel, die der Komponist eingesetzt hat, zu beachten und zu verstehen, und zwar auch im Zusammenhang mit der Epoche und den damals virulenten Gepfiogenheiten, ansonsten ist man naiv und überschreitet dann schon mal Grenzen, Z.B. die zum Kitsch oder zur seelenlosen Technikbolzerei. Wer Regondi Etude Nr. 8 kennt und die beiden von Bernard verlinkten Fassungen goutiert, versteht vielleicht, was ich meine. Insofern ist die Rezeption eines Musikstückes auch an Voraussetzungen geknüpft, und der Interpret sollte nicht der Gefühlsduselei zum Opfer fallen, jedenfalls entstehen Gefühle NACH dem Hören, und nicht vorher, dann wäre es nämlich Kitsch. Jörg
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12.12.2023 06:35
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