Bei mir ist es oft so, dass ich Musik automatisch mit irgendwelchen Gefühlen/Erlebnissen/Bildern verbinde wenn ich sie höre und/oder spiele. Das macht sie für mich so lebendig. Keiner kann ja in den Komponisten/die Komponistin hineinschauen und somit eben auch nie genau die Intention verstehen, die die Person beim Schreiben eines Werks hatte. Die Frage ist ja dann, ob das so überhaupt der Anspruch sein soll. Musik ist ja auch immernoch eine Kunst und jeder Gitarrist/ jede Gitarristin interpretiert ein Stück eben auch ganz anders. Wenn jemand jetzt ein Stück über Pflaumen am Baum schreibt, dann hat dieser ja vielleicht ein Bild aus seiner Kindheit im Kopf, vielleicht eine glückliche Erinnerung an schöne Zeiten. Wenn ich aber jetzt den Titel mit Pflaumen am Baum lese, dann habe ich da keine konkrete Erinnerung oder Gefühlslage an irgend etwas und spiele das Stück auch ganz anders, als es ursprünglich die Intention beim Schreiben gewesen ist. Trotzdem bin ich ja in der Lage, dem Stück meine ganz persönliche Note unf Färbung zu geben, auch wenn das nicht die ursprüngliche Note war. Das ist ja auch das schöne an der Kunst. Ich kann mich selbst durch ein Stück ausdrücken, jeder kann das. Auch wenn das Stück ursprünglich anders gemeint war. Es geht ja schließlich um eine -Interpretation- Vor ca.1,5 Jahren habe ich mal ein Stück gelernt, bei dem ich am Anfang während ich es spielte, direkt ein Bild von einem Sonnenuntergang in einer Großstadt hatte, in der eine fröhliche Comic-Figur durchschlenderte. Ich weiß bis heute nicht, wie ich auf dieses sehr konkrete Bild kam, jedoch glaube ich kaum, dass der Komponist dieses Bild so angedacht hatte. Mittlerweile sehe ich dieses Bild beim spielen auch nichtmehr. Je nach Gefühlslage spiele ich das Stück auch jedes Mal anders. Und das ist eben für mich die Magie. Die Freiheit zu haben, ein Stück jedes mal anders umsetzen zu können.
"Für mich wird durch die eigene freie und wechselbare Interpretation ein Musikstücks schnell der Beliebigkeit ausgesetzt." Heißt das für dich, dass du das Stück jedes Mal auf die gleiche Art zu spielen versuchst, sobald du es kannst?
Die "eigene freie und wechselbare Interpretation" eines Musikstückes macht es für mich nicht "beliebig" sondern gerade interessant. Ich freue mich über verschiedenartige Interpretationen, wenn mir eine nicht gefällt, höre ich sie halt nicht mehr. Ich muss auch nichts über die Gefühle /Intentionen der Komponisten wissen, solche Informationen sind ohnehin sehr selten. Vielleicht hätte Bach beim Kartoffelschälen eine Idee und hat sie anschließend zu einer Fuge verarbeitet, vielleicht brauchte Mozart Geld für die Miete. Wir wissen es nicht. Ich muss es auch gar nicht wissen. Schließlich habe ich als Interpret / Zuhörer das Recht, eigene Fantasie zu entwickeln. Man muss mir nicht erklären, was ich fühlen soll oder welche Bilder ich mir vorstellen soll. Etwas eigene Kreativität ist in der Kunst schließlich nicht verkehrt. Bei dem dem als Beispiel genannten Stück "Sheep on a mountain" (oder so ähnlich) Schafe auf einer Weide zu zeigen, ist mir dann doch zu viel.
Zitat von Linnsebinse im Beitrag #49"Für mich wird durch die eigene freie und wechselbare Interpretation ein Musikstücks schnell der Beliebigkeit ausgesetzt." Heißt das für dich, dass du das Stück jedes Mal auf die gleiche Art zu spielen versuchst, sobald du es kannst?
In letzter Konsequenz ja. Bis auf Tagesform und Veränderungen durch Fähigkeiten und Lebenserfahrung.
Wie soll es auch anders gehen, ein Tombeau mal lustig und mal jazzig?
"Wie soll es auch anders gehen, ein Tombeau mal lustig und mal jazzig?" Eine etwas deplatzierte Bemerkung zum jetzigen Zeitpunkt... Zumal ja an der grundlegenden Komposition des Stücks bei der Interpretation jetzt eher nichts geändert wird. So auch nicht möglich, ein nicht jazziges Stück jazzig zu spielen. Es geht mir eher um Nuancen, um Betonungen, die ich anders setze, um Dynamische Veränderungen. Man muss es ja auch nicht übertreiben beim Spielen. Und das, meine ich, tue ich in den seltensten Fällen. Ein melancholisches Stück interpretiert man nicht "glücklicher" wenn man in fröhlicher Stimmung ist. Und das meine ich auch nicht. Aber man kann sich wohl auch mal ausprobieren im Spielen eines Stücks und unterschiedlichen Dingen unterschiedliche Schwerpunkte verleihen. Das hat in diesem Zusammenhang nichts mit Willkür zu tun, wenn man Dinge gsnz bewusst anders spielt, meiner Meinung nach. Ich möchte nochmal kurz betonen, dass es auch vollkommen in Ordnung ist, wenn andere Spieler/Spielerinnen das anders machen. Und nach einer Übezeit ein Stück genauso spielen, immer in der einen Version. Das ist auch legitim und richtig. Nur nehme ich persönlich mir die Freiheit heraus, ein Stück hin und wieder etwas anders zu spielen. Weil ich mich selbst durch die Musik, die ich spiele besser ausdrücken kann. Grüße Linn
Die Realität der Person oder der wahre Charakter des Komponisten spielen für mich keine Rolle. Mein eigenes Bild, das aus der Musik entsteht, zählt. Ich lasse mir das nicht nehmen.
Zitat von Linnsebinse im Beitrag #52"Wie soll es auch anders gehen, ein Tombeau mal lustig und mal jazzig?" Eine etwas deplatzierte Bemerkung zum jetzigen Zeitpunkt... Zumal ja an der grundlegenden Komposition des Stücks bei der Interpretation jetzt eher nichts geändert wird. So auch nicht möglich, ein nicht jazziges Stück jazzig zu spielen. Es geht mir eher um Nuancen, um Betonungen, die ich anders setze, um Dynamische Veränderungen. Man muss es ja auch nicht übertreiben beim Spielen. Und das, meine ich, tue ich in den seltensten Fällen. Ein melancholisches Stück interpretiert man nicht "glücklicher" wenn man in fröhlicher Stimmung ist. Und das meine ich auch nicht. Aber man kann sich wohl auch mal ausprobieren im Spielen eines Stücks und unterschiedlichen Dingen unterschiedliche Schwerpunkte verleihen. Das hat in diesem Zusammenhang nichts mit Willkür zu tun, wenn man Dinge gsnz bewusst anders spielt, meiner Meinung nach. Ich möchte nochmal kurz betonen, dass es auch vollkommen in Ordnung ist, wenn andere Spieler/Spielerinnen das anders machen. Und nach einer Übezeit ein Stück genauso spielen, immer in der einen Version. Das ist auch legitim und richtig. Nur nehme ich persönlich mir die Freiheit heraus, ein Stück hin und wieder etwas anders zu spielen. Weil ich mich selbst durch die Musik, die ich spiele besser ausdrücken kann. Grüße Linn
Es ist vielleicht teilweise so, liebe Linn, dass klassisch Gitarrist*innen über das einmalige Privileg verfügen, fast immer solo spielen zu dürfen? Somit würde sich für mich erklären, warum unantastbare Gestaltungselemente wie Betonungen, die anders gesetzt werden dürfen als auf dem Blatt steht, oder gar dynamische Veränderungen unternommen werden dürfen? Für Orchestermusiker*innen, egal welches Instrument, wäre sowas undenkbar, frevelhaft. Sobald du im Ensemble spielst, oder gar im Orchestergraben, spielst du die Noten so wie du sie bekommen oder, während der Probenphase, mit der dirigierenden Person besprochen hast - vorausgesetzt, steht sie dafür zu Verfügung und dass ist eher unrealistisch. Du spielst also das, was du spielen musst und wie du es spielen sollst, das wird dir auch gesagt. Das interpretieren ist ja für die Solistin oder den Solist - und das ist ja eine einmalig geile (mit Verlaub) Erfahrung, glaube es mir, so interpretieren zu dürfen, wie es mir nur so in dem Moment danach ist, wohl wissend, dass ein ganzes Klangkörper sich mit meiner Interpretation herumschlagen muss 8D Gruß, Ugo Gruß, Ugo
Eine Gedanke, der mir bei linnsebinse gut gefällt ist, dass man Interpretieren ja auch als "prüfendens Spielen" verstehen kann. Bspw. "Was passiert, wenn ich die Bindungen stärker akzentuiere? "Das wäre dann, wenn man es konsequent macht, das Gegenteil von Beliebigkeit, erfordert natürlich auch eine (selbst-) kritische Haltung, die vielleicht nicht jeder aufbringt. Insofern ist der Hinweis von Charlie auch nicht aus der Luft gegriffen.
Zitat von Hugo im Beitrag #54 Für Orchestermusiker*innen, ... Du spielst also das, was du spielen musst und wie du es spielen sollst, das wird dir auch gesagt.
Ja, dem Orchestermusiker wird vom Dirigenten vorgeschrieben, wie zu spielen ist. Aber das heißt nur, dass die Diskussion, die hier von Solisten geführt wird bzw. die jeder Solist mit sich selbst ausmachen muss im Falle eines Orchesters vom Dirigenten für alle entschieden wird. Auch, ob "unantastbare Betonungen" vielleicht doch angetastet werden.
In einer (gleichberechtigten) Gruppe Kammermusiker müssten die sich deren Mitglieder ober die hier diskutierte Frage einigen.
Von daher finde ich nicht, dass der Verweis auf nicht-Solisten ein Argument für oder gegen eine oder mehrere der hier vertretenen Standpunkte ist.
Ich denke auch, dass das hier diskutierte Thema auch im kammermusikalischen Raum eine Rolle spielt. Ich spreche mit der Cellistin, mit der ich im Duo spiele immer ab, wie wir bestimmte Stellen spielen, was wohl generell im Zusammenspiel unabdingbar ist. Und auch da werden Betonungen, Dynamiken und Akzente ausprobiert, wie ich es alleine auch mache. Natürlich muss man sich einig werden aber grundsätzlich ist die Interpretationsfrage in jeder Besetzung wichtig. Und das Thema ist ja immer so: je mehr Leute zusammenspielen, desto weniger Freiheit für den Einzelnen. In meiner Abiturprüfung in Musik hatte ich damals Interpretationen eines Jazz Standards verglichen. Und da kam ich ein ähnliches Ergebnis: In der Big Band war der Standard bis auf einzelne, ausgewählte Solostellen völlig durchkomponiert, was in so einem großen Ensemble wohl kaum anders möglich ist. Der gleiche Standard wurde auch von einem Trompeter und einem Pianisten im Duo interpretiert. Und das war völlig anders. Viel freier, die beiden haben sich zugehört, sind spntan aufeinander eingegangen. Grundsätzlich war zu hören, dass wahrscheinlich nur eine sehr verknappte Absprache im Vorhinein getroffen wurde. Ganz im Gegensatz zur Big Band Version.
Zitat von Charlie im Beitrag #58Ich denke, dass sich bei bisher unterschiedlicher Wortwahl doch ein Konsens abzeichnet:
Unsere Arbeit an Nuancen dient dazu, eine möglichst treffende Interpretation eines Stückes zu finden und uns hier auch immer wieder zu hinterfragen.
Ich bin mit dir einverstanden, lieber Charlie, und einen Satz von Linn finde ich voll zutreffend, und zwar, je größer ist ein Ensemble, desto weniger Freiheit für den einzelnen. Also, da mit der klassischen Gitarre, wir meistens allein unterwegs sind, genießen wir Freiheiten die sonst in der Musik-Praxis so nirgends einzutreffen sind. Das finde ich gerade sehr verlockend.
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28.12.2023 18:39 (zuletzt bearbeitet: 28.12.2023 18:44)
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