Hi, ich finde, Satie bietet einen perfekten Anknüpfungspunkt zu vielen interpretatorischen - aber auch Selbserfahrungs- Aspekten des Instrumentalspieles, dazu fällt mir z.B. ein "Entkoppelung von Interpretation und Technik" in der Phase des Einstudierens , und hier bietet sich bei den Satiestücken eine wundervolle Möglichkeit der Selbserfahrung während der "Bedienung" unseres Instrumentes : es kann sehr schön sein, ein Stück ohne interpretatorischen Druck darzustellen, wer kennt nicht den "harten Bauch" oder den "verspannten Kehlkopf" oder andere Mißempfindungen, wenn man versucht, aus allen Poren "Musik zu schwizen", es kann herrlich befreiend sein, mal nur den genauen Text eines Stückes darzustellen, während es ja heutzutage durchaus üblich ist, erst mal auf YT zu gucken, wie "Das" denn die Kollegen spielen, und schon ist man nicht mehr neutral. Während meiner 35 Jahre Hochschultätigkeit gab es immer mal Studenten mit einer sehr hohen musikalischen Selbsteinschätzung, die gestalteten das einfache Spielen einer Tonleiter als musikalisch hochdramatisches Ereignis und saßen dann am Ende wie ein lebendiger Knoten auf ihrem Stühlchen, das machte keinen Sinn. Hier ist man dann als Lehrer gefordert, ebenso wie beim Bereitstellen stilistischer und historischer Fakten Übles zu verhindern, sonst klingt alles von Bach bis ... wie "Fritzchen", und insofern kann man dann schon objektive Kriterien zur Beurteilung einer Interpretationsleistung heranziehen, also mit anderen Worten : persönliche Authentizität kann nicht immer als Hauptkriterium für richtige Interpretation herhalten, Stichwort "Gefühlte Wirklichkeit" versus "Tatsachen". Hier eröffnet sich evtl. ein weites Diskussionsfeld, wenn es gelingt, unpolemisch vorzugehen. Ich bin gespannt Jörg
Vielen Dank Jörg für diese sehr interessanten Gesichtspunkte. Wir sind allerdings mittlerweile schon recht weit weg vom ursprünglichen Ausgangspunkt des Threads, der Gnossienne. Deshalb habe ich hier mit deinem Einverständnis einen neuen Thread aufgemacht. Wenn du eine andere Überschrift willst, kann ich gerne ändern.
Müssen wir in den gemeinsamen Erörterungen hier in Forum zwischen einer professionellen und einer hobbymäßigen Ausrichtung von uns Gitarre-Spielenden unterscheiden?
Ganz sicher, wenn es um die Erfahrung und das Können geht. Aber vielleicht nicht mehr ganz so sicher, wenn es um die Leidenschaft und das Wollen geht?
Kann fehlende Technik durch Interpretation kompensiert werden? Na gut … eine rhetorische Frage, die aber zeigt, dass es immer mit der Technik beginnt.
Und die Interpretation? Gelingt es, den Gemütszustand des Komponisten auszudrücken? Oder will ich mich selbst überhöhen?
Ja, wie befreiend ist da Satie, der die Musik einfach auf Technik und letztlich Klang reduziert. Und wie wunderschön klingt es plötzlich ohne alle Versuchungen einer interpretatorischen Ausdeutung.
Musik um ihrer selbst willen ohne übertriebene emotionale Aufladung. Aber dennoch verzichtet Satie in der Gnossienne 1 nicht auf die Verspieltheiten des Fingeraufschlagens und -abziehens.
Meiner derzeitigen Einschätzung nach können wir erst über die Fähigkeit einer Interpretation sprechen, wenn wir ein Stück mit verschiedenen Interpretationen spielen können. Sonst geht die „Interpretation“ eher in Richtung Verdeckung technischer Unzureichendheit.
Zitat von Charlie im Beitrag #4Und die Interpretation? Gelingt es, den Gemütszustand des Komponisten auszudrücken? Oder will ich mich selbst überhöhen?
Will ich überhaupt das eine oder das andere? Oder möchte ich versuchen, dem *Stück* "gerecht zu werden"? Dazu gehört deutlich mehr, als den "Gemütszustand des Komponisten" "auszudrücken". (Wissen um den historischen Kontext, das kulturelle Umfeld,...)
Fehlende Technik kann nicht durch "Interpretation" kompensiert werden. Wie auch? - Aber ich kann auch bei unzureichender Technik gute Ideen zur Interpretation haben, die ich dann vielleicht nicht vollständig realisieren kann. (Aber vielleicht jemand anderes für mich.)
Zitat von Charlie im Beitrag #4Ja, wie befreiend ist da Satie, der die Musik einfach auf Technik und letztlich Klang reduziert. Und wie wunderschön klingt es plötzlich ohne alle Versuchungen einer interpretatorischen Ausdeutung.
Nein, "man kann nicht nicht interpretieren". Auch die (vermeintliche) Reduzierung auf Klang ist ja schon eine Interpretation.
P.S.: "Interpretieren" bedeutet ja nicht, im "romantischen Missverständnis" herumzusülzen. (Auch wenn's zu häufig gemacht wird.)
Ach ja, der Gemütszustand des Komponisten… Bach hat angeblich während der Predigt komponiert. Muss ich mich jetzt langweilen, wenn ich seine Stücke adäquat darstellen will?
Da finde ich den Hinweis viel wichtiger, dass man die Interpretation an die jeweilige Sprache der Zeit anpassen muss. Dowland mit viel Schmelz ist wahrscheinlich nicht angebracht, bei Mendelssohn sieht das schon anders aus. Insofern gibt es durchaus eine Verpflichtung dazu, über verschiedene Epochen und musikalische Praktiken zu lernen.
Das klingt übrigens viel schlimmer, als es ist – wenn man genau hin hört, lernt man zum Beispiel Klassik typische Phrasierungen, barocktypische Phrasierung, Hemiolen und so weiter, die alle für eine bestimmte Zeit typisch sind und entsprechend gespielt werden müssen. Das hat gar nicht viel mit Interpretation zu tun, sondern mit Stil.
Und ich sehe es genauso, dass man nicht nicht interpretieren kann. Natürlich drückt man jedem Stück irgendwie einen persönlichen Stempel auf, und das ist doch gut und richtig so, denn wir wollen ja Menschen hören und keine Maschine. Aber das Ergebnis sollte bei einem Stück von Carcassi anders sein als bei einem von Leo Brouwer. Nicht, weil die Gemütszustände der beiden so wahnsinnig unterschiedlich wären, sondern die Epochen und Stile, in die sie hinein schreiben. Wenn ich das als Interpret nicht ernst nehme, kann ich tatsächlich alles gleich „wie Fritzchen“ spielen.
(Übrigens gibt es durchaus auch die technikbedingte Interpretation. Man nennt das strategisches Ritardando.)
(Übrigens gibt es durchaus auch die technikbedingte Interpretation. Man nennt das strategisches Ritardando.)
Viele Grüße, Stephan
Das ist sicherlich das Stilmittel, dass ich am häufigsten verwende . Vielleicht vertrat ich deswegen so vehement die "jeder sollte spielen wie er will" Position
Hi die englische Berufsbezeichnung "interpreter" lautet bei uns "Übersetzer". Interpretieren heißt folglich übersetzen und nicht einfach was dahinschreiben, es heißt nicht primär, einer Sache als Interpret einen persönlichen Sinn zu gebe, klingt provokant und regt zum Nachdenken über unser täglich Brot am Instrument ein. Au weia Jörg
Zitat von Jörg Wagner im Beitrag #8Hi die englische Berufsbezeichnung "interpreter" lautet bei uns "Übersetzer". Interpretieren heißt folglich übersetzen und nicht einfach was dahinschreiben, es heißt nicht primär, einer Sache als Interpret einen persönlichen Sinn zu gebe, klingt provokant und regt zum Nachdenken über unser täglich Brot am Instrument ein. Au weia Jörg
Es gibt vom leider kürzlich verstorbenen Menahem Pressler (Pianist des Beaux Arts Trios) eine Dokumentation mit dem Titel „Der Musik dienen“. Nachdenkenswerter Titel, sehenswerte Doku.
Im Radio wurde gestern nachmittag in einem Beitrag über die Nutzung von KI in kreativen Bereichen über Igor Strawinsky berichtet, er hätte damals große Hoffnung auf das mechanische Klavier gesetzt, um endlich die Musiker umgehen zu können, die seine Stücke viel zu oft nicht wie von ihm beabsichtigt spielten.
Das Musik und Emotionen des Kompositeurs immer nur vor dem Hintergrund der jeweiligen Zeit zu sehen sind, wirft die Frage auf, wie sich unsere heutigen Instrumente dazu eignen. Dowland auf Gitarre? Mit Carbonsaiten? … ein gutes Alibi, eine Laute kaufen zu müssen :-)
Zitat von Charlie im Beitrag #10Im Radio wurde gestern nachmittag in einem Beitrag über die Nutzung von KI in kreativen Bereichen über Igor Strawinsky berichtet, er hätte damals große Hoffnung auf das mechanische Klavier gesetzt, um endlich die Musiker umgehen zu können, die seine Stücke viel zu oft nicht wie von ihm beabsichtigt spielten.
Darüber hat sich schon Mozart beschwert. Seit es Tonaufzeichnungen gibt, gibt es auch Aufnahmen von Eigen-Interpretationen von Komponisten. Wenn man diese mit dem Notentext vergleicht, kann man feststellen, dass sie sich ebenfalls nicht sklavisch an das halten was sie mal aufgeschrieben haben, vor allem was das Tempo angeht. Es spielt also auch immer der aktuelle Gemütszustand eine Rolle, Veränderung scheint ein Teil der Musik zu sein.
Zitat von Jörg Wagner im Beitrag #8Hi die englische Berufsbezeichnung "interpreter" lautet bei uns "Übersetzer". Interpretieren heißt folglich übersetzen und nicht einfach was dahinschreiben, es heißt nicht primär, einer Sache als Interpret einen persönlichen Sinn zu gebe, klingt provokant und regt zum Nachdenken über unser täglich Brot am Instrument ein. Au weia Jörg
Ich bin selbst IHK-geprüfter Übersetzer und Dolmetscher, auch wenn ich in dem Beruf nie gearbeitet habe. Ich würde diese Analogie nicht überstrapazieren.
Und wenn ich im online-Wörterbuch das Wort „Interpret“ ins englische übersetzen lasse, kommt was raus? Artist.
Zitat von Charlie im Beitrag #10Im Radio wurde gestern nachmittag in einem Beitrag über die Nutzung von KI in kreativen Bereichen über Igor Strawinsky berichtet, er hätte damals große Hoffnung auf das mechanische Klavier gesetzt, um endlich die Musiker umgehen zu können, die seine Stücke viel zu oft nicht wie von ihm beabsichtigt spielten.
Wir haben ja nun seit über 100 Jahren die Möglichkeit, uns die Aufnahmen der Komponisten selbst anzuhören – vielleicht weniger im Klassikbereich, aber im Bereich der Populärmusik auf jeden Fall. Wenn ich hier eine Unterscheidung treffen will, dann zum einen der Jazz-Ansatz, wo das Stück im schlimmsten Fall nur Vehikel zum persönlichen Ausdruck der Interpreten wird. Das andere Extrem sind Coverbands, die sich bemühen, ein Stück bis ins letzte Detail genau nach zu spielen „wie auf Platte“.
Im Klassikbereich, wo das Repertoire zum größten Teil vor Entstehung der Tonaufzeichnung entstanden ist, sieht das ja nun anders aus.
Zitat von Charlie im Beitrag #10Das Musik und Emotionen des Kompositeurs immer nur vor dem Hintergrund der jeweiligen Zeit zu sehen sind...
Die Person des Interpreten ist das Medium, durch das sich die Musik zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort, unter bestimmten technischen und gesellschaftlichen Voraussetzungen manifestiert. Daran kommt man nicht vorbei. Als Interpret/in kann man ja selber auch nicht aus seiner eigenen Zeit raus, genauso wenig wie der Komponist.
(Bei aller Liebe zur historisch informierten Aufführungspraxis – auch die gibt nur wieder, wie wir uns zur jetzigen Zeit vorstellen, dass man vor 200 Jahren musiziert haben könnte.)
Die Frage ist also jetzt, wie wir mit dieser „Verantwortung“ umgehen – Verantwortung dem Stück gegenüber, dem Komponisten und seiner tatsächlichen oder vermuteten Intention gegenüber, unsere persönliche Auffassung des Stücks und die Rahmenbedingungen, unter denen das Stück gespielt wird.
Das sind schon eine ganze Menge Themen zu bedenken :-) was meint ihr?
Zitat von Charlie im Beitrag #10Das ... wirft die Frage auf, wie sich unsere heutigen Instrumente dazu eignen. Dowland auf Gitarre? Mit Carbonsaiten? … ein gutes Alibi, eine Laute kaufen zu müssen :-)
Ich bin der Meinung, dass wir Dowland auf Carbonsaiten spielen dürfen, solange Beethoven auf einem Steinway-Flügel gespielt wird. Eine Laute hätte ich trotzdem gerne.
Trotzdem finde ich die Analogie irreführend. Ein Übersetzer oder Dolmetscher ist ein Sprachmittler, der lediglich zwischen zwei verschiedenen Sprachen vermittelt. In der Musik ist ein Interpret zwingend notwendig, um das Stück überhaupt hören zu können, hat also einen ganz anderen Stellenwert.
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21.05.2023 12:15
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